Verschwörungen, Theorien und Experten

Der Sturm auf das Capitol wäre ohne Verschwörungstheorien nicht möglich gewesen, so Marko Kovic im 20min online.1 Viele Leute hätten in Trump einen Messias gesehen und seine Rede, in der „er seine Anhänger aufforderte, zum Capitol zu ziehen“, habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Nun gut, es gibt in den USA tatsächlich abstruse Verschwörungstheorien. Etwa die QAnon-Bewegung, die von einem angeblichen Insider befeuert wurde, der behauptete, Trump folge einem minutiösen Plan, um das korrupte Establishment zu zerschlagen. Zerschlagen dürften sich jedoch lediglich die Hoffnungen haben, dass Trump ein Übermensch wäre, der Amerika quasi im Alleingang rette. Zumindest nach Bidens Vereidigung dürfte es schwierig werden, ein weiteres Kapitel in der Geschichte der QAnon-Erzählung zu schreiben.

Achtung; wir kommen jetzt von der Verschwörungstheorie auf eine weitere Verschwörungstheorie: Über QAnon selbst gibt es diverse Theorien. Dass es sich dabei nämlich um eine vom FBI gesteuerte psychologische Cyber Operation handle, welche womöglich das Ziel habe, die Unterstützungsbasis von Trump zu kontrollieren, zu diskreditieren und letztlich entgleisen zu lassen.2 In diesem Sinne hat Kovic womöglich sogar recht; der „Sturm“ auf das Kapitol wäre ohne die Verschwörungstheorie QAnon nicht möglich gewesen. Nicht möglich gewesen wäre der „Sturm“ vielleicht auch, wenn man den Protestlern nicht die Türen geöffnet hätte. In einem Video das auch auf der „Welt“ online zu sehen war, sieht man wie Sicherheitskräfte eine Abschrankung entfernen und die Leute richtig Kapitol ziehen lassen.3 Bei der ganzen Szenerie kam es auch zu Gewalt und Toten. Das Ganze aber als einen versuchten Staatstreich zu bezeichnen, ist völlig unseriös. Die meisten Leute im Kapitol scheinen völlig überrascht und irgendwie auch ein wenig orientierungslos, nachdem sie erst ins Gebäude gelangten. Beim sogenannten QAnon Schamanen handelt es sich ganz offensichtlich um einen Selbstdarsteller, der im Kapitol ein Gebet übers Megafon spricht, in welchem er sich beim himmlischen Vater bedankt, den Polizisten die nötige Inspiration gegeben zu haben, sie in dieses Gebäude zu lassen.4 Er sagt da wortwörtlich, dass man ihnen Einlassen gewährt habe; freilich ist das ein seltsamer Sturm, bei dem die Erstürmten die Tore öffnen. Sollte also QAnon tatsächlich eine PsyOp mit oben genanntem Ziel gewesen sein, kann man nur noch sagen: Mission erfüllt!

Hier wollen wir nun aber nicht den verschiedensten Verschwörungstheorien auf den Grund gehen, sondern am Beispiel des 20min Interview eingehender betrachten, wie über Verschwörungen gesprochen wird. Oft passiert das nämlich sehr tendenziös. So fällte bei Kovics Antwort etwa auf, dass er darauf verzichtet zu erwähnen, dass Trump seine Anhänger aufgefordert hat, zum Kapitol zu ziehen und dort „friedlich“ für ihre Rechte zu demonstrieren. Auch werden die Dinge oft nicht in den Kontext gesetzt. Trump habe etwa wilde Theorien befeuert, in dem er behauptete, die Wahl selber gewonnen zu haben. Dass etwa Hillary Clintons Behauptung, die Wahl von 2016 sei von den Russen manipuliert worden, ein Verschwörungstheorie der Extraklasse ist, die man durch Experten für Verschwörungstheorien ins lächerliche ziehen lassen könnte, darauf kommt man offenbar nicht. Oder man legt an Behauptungen aus der Ecke der Etablierten einfach andere Standards…

In den USA seien die Leute verunsichert, „durch die Fake News, die unter anderem durch den Nachrichtensender „Fox News“ oder die Webseite „Daily Wire“ verbreitet“ würden. Bei beiden handelt es sich um konservative Medien. Weniger Interesse scheinen Verschwörungsexperten an liberalen Medien zu zeigen, welche die Verschwörungstheorie untermauerten, bei den vor den Wahlen aufgekommenen Korruptionsvorwürfen gegen Joe Bidens Sohn Hunter handle es sich um russische Desinformation. Eine angebliche russische Desinfo notabene, welche den FBI nach den Wahlen Ermittlungen aufnehmen lässt.5 Verschwörungstheorien seien gefährlich, so Kovic weiter, die Gesellschaft sei zerbrechlich, ein solcher Aufstand könne auch in der Schweiz passieren. In der Tat gab es schon einmal eine Okkupation des Bundeshauses. Im Jahre 2000 nämlich, als sich eine kleine Gruppe kurdischer Aktivisten in verschwörerischer Art und Weise unter Touristen mischte um dann einen Teil des Bundeshauses zu besetzen, worauf weitere Landsleute ins Gebäude rannten, um für ihre politischen Ideen zu werben.6 Das Internet steckte damals quasi noch in den Kinderschuhen. Dieses ist nämlich nicht notwendig, um sich zu verschwören.

Auf die Frage warum denn bei QAnon von einer „pädophilen Elite“ die Rede sei sagt der Verschwörungsexperte: „Es sind alte Motive. Seit Jahrtausenden werden antisemitische Verschwörungstheorien weitergegeben, die von Juden erzählen, die sich an Kindern vergehen, sie umbringen und ihr Blut trinken.“ Nun müsste man diesen Glauben an eine „pädophile Elite“ nicht unbedingt in eine Jahrtausende alte Erzählung über bluttrinkende Juden einbetten. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass sich die Annahmen von Leuten, welche an eine „pädophile Elite“ glauben, aus Ereignissen des Zeitgeschehens nähren? Etwa aus Erzählungen rund um das „Lolita-Express“ genannte Flugzeug des mittlerweile nicht mehr unter den Lebenden weilenden, aus einer jüdischen Familie stammenden Investmentbankers und verurteilten Sexualstraftäters (erzwungene Prostitution einer Minderjährigen) Jeffrey Epstein. Passagiere des ominösen Flugzeugs waren etwa Bill Clinton und Prinz Andrew.7 Warum also der Verweis auf „blutsaufende mittelalterliche Juden“? Ganz einfach, weil es bei solchen Expertisen häufig nicht darum geht, ein Phänomen – vorliegend QAnon – verstehen zu wollen, sondern dieses zu diskreditieren.

Kovic ist der Meinung, dass Zensur durch Techgiganten wie Facebook und Twitter wohl nütze, um dem verschwörungstheoretischen Treiben Einhalt zu gebieten, hält diese aber für problematisch:

Das Problem hier ist, dass es willkürlich und die Richtlinien nicht demokratisch legitimiert sind: Warum werden Posts über QAnon gelöscht, Inhalte mit Verschwörungstheorien über Impfungen aber nicht? Letztlich ist die Aktion dieser Plattformen heuchlerisch, da sie es nur machen, weil ihre Werbekunden nicht in einem solchen Umfeld werben wollen.“

Heisst dies nun im Umkehrschluss, dass wenn Zensur mit der richtigen Motivation betrieben und demokratisch verbrämt wird, unproblematisch ist? Einmal davon abgesehen, dass die These, Techgiganten würden nur aus Werbezwecken zensieren, nicht erst seit dem Absturz der Twitteraktie nach Trumps Sperre totaler Blödsinn ist, so ist Kovic doch recht zu geben, wenn auch aus einer anderen Überlegung heraus, wenn er diese Zensur für problematisch hält.8 Die Jüdische Allgemeine sagt beispielsweise: „Noch nie war ein Kabinett so jüdisch wie das des irischstämmigen Katholiken Joseph Robinette Biden.“ Immerhin ist ein gutes Viertel der Ministerämter mit Juden besetzt. Namentlich das Aussen- Finanz- und Justizministerium sowie jenes für innere Sicherheit. Dazu kommen weitere Stellen wie jene des Stabschefs, der Direktorin der Geheimdienste, des stellvertretender Direktors des CIA usw. Nicht zuletzt sei die Vizepräsidentin Harris mit einem Juden verheiratet. Aus der Tatsache, dass 25% der Ministerämter von einer Volksgruppe besetzt werden, die in den USA aber lediglich 2% der Gesamtbevölkerung ausmacht, könnte man unter Umständen ableiten, dass Juden über besonders grossen politischen Einfluss verfügen. Wäre eine solche Auflistung nun auf Facebook schon problematisch, weil sie suggerieren könnte, dass Juden die Regierung kontrollieren, was dort als Hassrede disqualifiziert wird? Es geht letztlich um die Wertung gewisser Phänomene. Hier einfach mit Zensur eingreifen zu wollen, zeugt einfach von einer antidemokratischen Einstellung.

Apropos Biden, der liess 2015, damals noch Vizepräsident, verlauten:

„… und die Welle geht weiter. Sie wird nicht stoppen, noch sollten wir sie stoppen wollen. Tatsächlich ist es eines der Dinge, auf die wir, wie ich denke, am meisten stolz sein sollten. […] ein unerbittlicher Strom von Einwanderung. Nonstop, nonstop… Leute wie ich, die Kaukasier europäischer Abstammung sind, werden im Jahr 2070 eine absolute Minderheit sein in den Vereinigten Staaten Amerikas. Eine absolute Minderheit. Weniger als 50% der Leute in Amerika, von da an, werden zur weissen europäischen Gruppe gehören. Das ist keine schlechte Sache, das ist ein Quelle unserer Stärke.“9

Wie kann jemand die Tatsache hochjubeln, dass seine eigene ethnische Gruppe, welches das Land, dessen Vizepräsident er ist, aufgebaut und kulturell geprägt hat, zu einer Minderheit wird? Dass es ein Zeichen von Stärke ist, wenn die Nachfahren und ethnischen Cousins der Gründerväter langsam aber sicher verschwinden? Das heisst ja eigentlich nichts anderes, als dass die USA bis in die 60er Jahre, als das Land zu 90% weiss war, von einem schwächlichen, weil viel homogeneren, Staatsvolk bewohnt wurde. Kein Leuchtfeuer der Demokratie, nicht das Land der ersten Mondlandung, der Freiheit, des American Dream, wo man es mit Fleiss zu etwas bringen kann. Nein, das Land wird erst dann richtig stark, wenn die Leute die es aufbauten Minderheitenstatus erreicht haben. Joe Biden wertet die Dinge anders als Leute auf der Rechten, aber er beschreibt hier nichts anderes, als das, was auf der Rechten als ‚Grosser Austausch‘ beschrieben wird. Was lesen wir nun auf Wikipedia zum Grossen Austausch?

Die Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“ postuliert die Existenz eines geheimen Plans, weiße Mehrheitsbevölkerungen gegen muslimische oder nicht-weiße Einwanderer auszutauschen. Dahinter stünden etwa „die Globalisten“, „die Eliten“, „die Privatwirtschaft“, „die Juden“, „Multikulturalisten“ oder auch supranationale Organisationen wie die Europäische Union oder die Vereinten Nationen. Infolgedessen käme es in absehbarer Zeit zu einem „Untergang Europas“ oder einem „Genozid“.“

Unterstellt wird immer, dass die Verbreiter von ‚Verschwörungstheorien‘ an „einen geheimen Plan“ glauben würden. Renaud Camus, der gemäss Wikipedia diese Verschwörungstheorie formuliert habe, glaubt dabei überhaupt nicht an eine Kabale.10 Und was soll daran geheim sein, wenn der Vizepräsident der USA vom selben Phänomen im Fernsehen spricht? Es gibt duzende Aussagen führender Politiker, Philosophen, Ökonomen etc., die ganz offen sagen, dass sie eine möglichst grosse Durchmischung der europäischen Völker untereinander und möglichst viel aussereuropäische Einwanderung wollen. Angefangen bei unserer ehemaligen Bundesrätin Ruth Dreifuss, die möglichst viele Mischehen zwischen Schweizern und Ausländern als Wohltat aufzufassen scheint11, über den Publizisten Henrik M. Broder, der gerne ein nichtweisses Europa hätte, solange es nur demokratisch bliebe, bis hin zu Jaques Attali, einem französischen Wirtschaftökonomen, der meint, Frankreich müsse zu seiner Verjüngung eine grosse Zahl von Ausländern willkommen heissen12. Das sind offene Aussagen, da ist nichts Geheimes. Und ja, man hätte auch nicht jüdisch stämmige Menschen paraphrasieren können, aber dass es unter den Einwanderungsbefürwortern auffallend viele Juden gibt, hat eben auch seine Gründe, die ihre Wurzeln wiederum nicht in einer „jüdischen Weltverschwörung“ haben, sondern in divergierenden Gruppeninteressen.

Der mittlerweile fast nur noch pejorativ verwendete Begriff „Verschwörungstheorie“ ist meist gleich auf mehreren Ebenen falsch. Denn die politischen Ideen die man damit diffamieren will, postulieren häufig gar keine Verschwörung und um Theorien handelt es sich auch nicht. So ist der „Grosse Austausch“ vielerorts nicht Theorie, sondern Praxis und eine Verschwörung in dem Sinne, dass hier klandestine Kräfte am Werk seien, kann man wohl kaum geltend machen, wenn die Intention von den Befürwortern einer solchen Politik offen herausposaunt wird. Von „Verschwörungstheorie“ wird von interessierter Seite häufig einfach schwadroniert, wenn man den politischen Gegner als ungebildeten, leichtgläubigen Trottel dastehen lassen will, argumentativ dazu aber nicht in der Lage ist. Und letztlich verschleiert das abschätzige Reden über Verschwörungstheorien auch diese eine Tatsache: Es gibt Verschwörungen und das seit tausenden von Jahren. Der erstaunte Ausruf „Et tu, Brute?“ war eben nicht die letzte Wortmeldung einer offengeführten Debatte unter der Inklusion aller Parteien im Senat.

1 https://www.20min.ch/story/in-der-schweiz-koennte-ein-aufstand-passieren-193637621606 25. Januar 2020
2 https://swprs.org/q-anon-may-have-been-an-fbi-psyop/ 25.01.2021
3 https://www.welt.de/vermischtes/article223901406/Kapitolstuermer-Jake-Angeli-Der-Q-Schamane-mit-den-Bueffelhoernern.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE 25.01.2021 (mittlerweile sieht man diese Szene in dem Video nicht mehr), hier ist die Szene zu sehen https://www.youtube.com/watch?v=lX2gQsQElJY
4 https://www.youtube.com/watch?v=270F8s5TEKY 25.01.2021 etwa ab Minute 8
5 https://www.tagesanzeiger.ch/strafermittlungen-gegen-sohn-von-joe-biden-623362889345
6 https://www.beobachter.ch/bundeshaus-wie-robust-das-alles-ist-0
7 https://www.nau.ch/people/welt/jeffrey-epstein-baby-lotion-in-lolita-express-gefunden-65777933
8https://www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/aktie-verliert-ueber-10-prozent-twitter-sperrt-trump-und-vergrault-damit-anleger_id_12856993.html 02.03.2021
Zudem: Es war für all diese Techgiganten kein Problem sich plakativ hinter die Black Lives Matter Bewegung zu stellen, obwohl es in deren Umfeld zu massivsten Gewalttaten gekommen ist, gegen die sich der „Sturm aufs Capitol“ wie ein laues Lüftchen ausnimmt.
9  https://www.youtube.com/watch?v=rPUC_eHhQfE
10  https://avalon-gemeinschaft.ch/?p=1085
11 Abenteuer Schweiz, herausgegeben 1991 von der Direktion Migros-Presse im Auftrag des Migros-Genossenschaftsbundes, S. 330/333.
12 Attali, Jacques: L’Homme nomade, 2003, S. 436.