Die Bundesrepublik Deutschland ist zurzeit in Aufregung wegen der juristischen Intervention des türkischen Präsidenten Erdogan. Was ist vorgefallen? In der Sendung Extra 3 des NDR wurde ein satirisches Lied über Erdogan gezeigt. Dieser hat daraufhin den deutschen Botschafter einbestellt und gefordert, das Video solle gelöscht werden. Böhmermann wiederum ging in seiner eigenen Sendung Neo Magazin Royale im ZDF auf die Reaktion des Türken ein und erklärte, dass in Deutschland Satire erlaubt und von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Anders würde es sich verhalten, wenn man anstelle von Satire Schmähungen über eine Person ausstossen würde. Um den Unterschied zwischen erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik zu veranschaulichen, hat Böhmermann dann auch gleich ein eigenes Schmähgedicht auf das Staatsoberhaupt verfasst. Mehrfach weist der Komiker dann daraufhin, dass so was in Deutschland eben verboten sei und nicht gemacht werden dürfe – um dann das Gedicht vorzutragen.
Böhmermann wusste also genau, dass er etwas Verbotenes tat. Womöglich dachte er sich, das beleidigende Gedicht sei genügend satirisch verpackt, damit es keine Konsequenzen habe. Wenn man sich aber das Schaffen des Satirikers etwas genauer betrachtet, drängt sich ein anderer Verdacht auf. Lesen wir doch, was uns Böhmermann sonst noch so zu erzählen hatte in seiner Sendung:
„Ich finde es ganz wichtig. Ich fand’s auch echt schön als Bürger der Bundesrepublik Deutschland, dass in dieser Woche so ein großer Konsens auf einmal herrschte nach Monaten des Streites, die Leute gegeneinander, die Gesellschaft gespalten, und in dieser Woche haben wir Deutschen endlich mal wieder mit einer Stimme gesprochen, wenn es gegen Despoten geht, die die Meinungsfreiheit auslegen, wie man nur Meinungsfreiheit auslegt wenn man Despot oder Diktator ist. Erdogan oder auch in Europa gibt es Victor Orban, Beata Szydlo von der PIS-Partei, die Ministerpräsidentin von unserem tollen Nachbarland Polen, Marine Le Pen vom Front National, Pim Fortuyn aus Holland, HC Strache von der FPÖ. Auch so autoritäre Nationalisten, Frauke Petry natürlich. Alles Leute, wo man sich gewünscht hat, es müssten mehr Leute aufstehen. Wladimir Putin, Donald Trump könnte der nächste amerikanische Präsident werden. Ich finde es ganz toll, dass wir diesen Menschen selbstbewusst entgegengetreten sind. Wer Rechte anderer einschränkt, dem gehören die Rechte eingeschränkt.“
Fällt irgendwem etwas auf? Richtig, für Böhmermann ist alles was sich irgendwie rechts von dem bewegt, was in der BRD als Mitte definiert wird, diktatorisch und despotisch. Es ist immer wieder herrlich wie Linke die Meinungsfreiheit im Namen der Meinungsfreiheit einschränken wollen. Man bezeichnet einfach als „despotisch“ was einem nicht passt und gut ist. So einfach kann die Welt sein. Dabei soll es hier gar nicht darum gehen, ob Erdogan ein lupenreiner Demokrat ist oder nicht. Als „Ziegenficker“ oder „Kinderschänder“ muss sich von einem Böhmermann niemand bezeichnen lassen, wenn er das nicht will.
Böhmermann scheint einer dieser Linken zu sein, die dermassen von ihrer guten Sache überzeugt sind, dass sie das Gefühl haben, (Anstands-) Regeln gelten nur für die anderen.
Bezeichnend für Böhmermanns Weltsicht ist auch sein an den Stil Rammsteins angelehntes Lied BE DEUTSCH! [Achtung! Germans on the rise!].
Das Lied soll wohl so was wie eine antirassistische Hymne sein. Es beginnt damit, dass eine Stimme sagt, man solle sich des 9. Novembers erinnern. Wir erinnern uns; vom 9. Auf den 10. November 1938 fand im Deutschen Reich die Reichskristallnacht statt, ein Judenpogrom. Das dürfe niemals vergessen werden, deshalb definiert Böhmermann das Deutschtum mal eben neu. Man sieht dann im Video, wie eine Gruppe Deutscher mit hassverzerrten Gesichtern gegen die Ankunft von Asylanten demonstriert. Die Welt sei völlig verrückt geworden, deshalb sei man nun zurück um zu helfen, teilt uns der Sänger mit. Die Deutschen würden erwachen, aber dieses Mal seien sie verdammt nett. Den demonstrierenden Deutschen ‚Wutbürgern‘ wird dann im Video eine Multikultitruppe entgegengestellt, bestehend aus Deutschen, teilweise mit Rastas, Juden, Moslems, Schwarzen, protestantischen Pfarrern, auch Leute im Rollstuhl und Schwule sind dabei – man will ja schliesslich keine Minderheit vergessen – das sind dann, gemäss Böhmermann, die wirklichen, die wahren Deutschen. An die Adresse der autochthonen Deutschen gerichtet singt Jan Böhmermann dann „The true Germans come for you! Better run fast!“ Ja, lieber Jan, „remember, remember the 9. of November“ oder wie ging das nochmal? Der eine oder andere Jude wird sich auch gedacht haben, er sollte vielleicht besser schnell davon rennen.
Was sich hier als antirassistischer möchtegern Rammstein Song präsentiert, ist letztlich nichts anderes als antideutscher Rassismus. Man stelle sich einmal vor, man würde einer Gruppe brasilianischer Indios das Bild von Böhmermanns Mutikultitruppe entgegenstellen und dazu singen: „Ihr rennt besser schnell, wenn die wahren Indios kommen!“
Irgendwie ist das Ganze dann doch schon viel grenzwertiger, nicht? Man könnte dem Bild rechts noch zwei oder drei Indios hinzufügen, damit es besser in den Zusammenhang passt. Es würde nichts daran ändern, dass das Lied dazu aufruft, eine distinkte Gruppe sowohl ethnisch wie kulturell zu zerstören. Aber das ist für selbstgerechte Linke wie Böhmermann kein Problem, er steht schliesslich auf der vermeintlich moralischeren Seite und weiss die veröffentlichte Meinung hinter sich. Deshalb ist es auch nicht mehr als eine glatte Selbsttäuschung, wenn Böhmermann in dem Lied singt, wie die neuen Deutschen zu sein brauche mehr Eier. Nein, seine Botschaft befindet sich gänzlich innerhalb des bundesrepublikanischen Mainstreams und es bedarf überhaupt keiner Eier sie kundzutun. Niemand wird wegen so was seine Anstellung verlieren oder ins Gefängnis kommen. Der Mut eines Böhmermanns ist ‚gratis‘ Mut. Stolz darauf zu sein, nicht stolz zu sein, wie er weiter singt, ist höchstens schizophren, aber hat ganz sicher nichts rebellisches an sich, zumindest nicht in der westeuropäischen Medienwelt. Böhmermann gibt den geläuterten Deutschen, man sei ja einmal auch dumm gewesen (ja, ja, wir wissen schon, der Untote von Braunau am Inn muss mal wieder als Chiffre herhalten) und wisse jetzt, dass man zu allen nett sein müsse (bis zur Selbstaufgabe, muss man hinzufügen). Am deutschen Wesen soll die Welt genesen…
Muss man zu allen nett sein? Nein, doch nicht ganz zu allen. Es gibt ein paar Leute die man beschimpfen und ausgrenzen darf. Dass Kindsmissbrauch nicht erst mit „Kinderficken“ anfängt, wie er es Erdogan in seiner Schmählyrik andichtet, beweist der deutsche, pardon, „neodeutsche“ Satiriker in „Socken und Sandalen“ in seinem Video gleich selbst, wenn er ein etwa acht oder neun jähriges Mädchen mit folgenden Worten auftreten lässt: „Hey ihr Schwanzköpfe, schaut euch die rechtmässigen Bürger der Bundesrepublik des Jahres 2016 gut an. [Zu sehen ist die Multikultitruppe] Es ist absolut legal für sie, zu tun was sie verdammt noch mal tun wollen, ihr dummen Scheisshirne! Und willst du wissen warum, Fickgesicht? Weil sie verfickt nochmal menschliche Wesen sind, wie du und jeder andere. Hast du vom Kategorischen Imperativ gehört, Arschloch? Lies Kant, du Fotze! [Im Original „Read Kant, you cunt“ welch ein Wortspiel…] Er war auch:…“ hier endet der geistreiche Beitrag zu dem man das Mädchen genötigt hat und der Chor setze wieder ein mit „deutsch, enlightend, responsible, we cycle, and recycle, Weltmeister, forgiving, Weizenbier, never forget, Fahrvergnügen, freedom of speech, European, unity, Fanta, diversity, selfless, We are Germany“.
Nein, Herr Böhmermann, ihr seid noch nicht einmal eine schlechte Karikatur von Deutschen und der Königsberger Philosoph würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sähe, wie man dem kleinen Mädchen Fäkalsprache in den Mund legt. Die Welt ist kein Ponyhof und mehr Vielfalt führt zu mehr Spannungen und mehr Unfrieden. Das will selbst ein Böhmermann nicht, sonst würde es ihn ja nicht freuen, wenn „in dieser Woche […] wir Deutschen endlich mal wieder mit einer Stimme gesprochen [haben]“. Es liegt nun im Rahmen des Möglichen, dass sich der Satiriker für einmal verrechnet hat und gerichtlich belangt wird. Wir würden uns nicht für Erdogan freuen, aber darüber, dass einem linksliberalen Gutmenschen einmal aufgezeigt würde, dass auch er sich an gewisse Mindeststandards bezüglich Anstand halten muss.
Jan Böhmermann ist derweil auf Tauchstation gegangen. Vielleicht nutzt er ja die Gelegenheit, um einen Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu finden und sich einmal ein paar eigene Gedanken über die Situation Deutschlands und Europas zu machen, anstatt nur politisch korrekten Nonsens wiederzukäuen.