Die Schlacht auf dem Lechfeld

Der 10. August 955 war ein Tag, welcher sich auf den Verlauf der Geschichte Europas nachhaltig auswirken sollte. An diesem Tag traf südwestlich von Augsburg, in der Nähe des Lechfeldes, ein Großaufgebot aus allen vereinigten deutschen Stämmen unter der Führung von Otto dem Großen auf ein magyarisches1 Reiterheer. Aus Zentralasien kommend zog diese „verheerende Landplage“2, wie die damaligen Chronisten sie nannten, auf ihrem Beutezug schon viele Jahrzehnte plündernd und verwüstend durch Mitteleuropa.

Mit Taktik, Kühnheit und Gottvertrauen errang das vereinigte ottonische Heer an diesem Tag einen Sieg von enormer Tragweite. Unter dem Banner des Erzengels Michael führte Otto der Große seine gepanzerten Reiter siegreich in die Schlacht. Von seinen siegreichen Truppen wurde er an diesem Tage zum „Vater des Vaterlandes“3 ausgerufen. Welche Auswirkungen solche Ereignisse auf die Menschen der damaligen Zeit gehabt haben müssen, von denen eine Mehrheit weder lesen noch schreiben konnte und die alles als göttliche Zeichen werteten, ist heute nur noch schwer nachvollziehbar.4

Doch was macht gerade diesen Tag zu einem Wendepunkt der Geschichte? Gab es doch schon etliche Jahre zuvor an der Unstrut bei Riade ein Aufeinandertreffen zwischen einem vereinigten deutschen Heer und magyarischen Reitern, bei dem der damalige König Heinrich I. einen Sieg davon trug. Was unterscheidet beide Ereignisse voneinander und warum ist der Sieg Ottos auf dem Lechfeld von größerer Bedeutung als der an der Unstrut bei Riade?5

Heinrichs I. Nachfolger, Otto I. war ein Herrscher mit weitreichenden Visionen, mit seinem autokratischen Führungsanspruch brüskierte er jedoch des Öfteren die Fürsten und auch die eigenen Familienangehörigen. Er besetzte zwar wichtige Ämter mit engen Familienangehörigen, überging dabei aber regelmäßig andere Fürsten, wie zum Beispiel die Angehörigen der Luitpoldinger, was sich zu seinen Ungunsten auswirken sollte. Übertrug er seinem Bruder Heinrich das Herzogtum Bayern, machte seinen Sohn Liudolf zum schwäbischen Herzog und seinen Schwiegersohn zum Herzog von Lotharingien, so forderte er auch von seinen Gefolgsleuten absolute Loyalität. Er selbst regierte über Sachsen und Franken (lat. francia saxoniaque) und war anderen gegenüber eher illoyal und unzuverlässig.

Otto heiratete nach dem Tod seiner ersten Frau Edgitha, der Mutter Liudolfs, erneut. Seine zweite Frau sollte ihm noch zwei weitere Kinder gebären, von denen eines zum potenziellen Thronkandidaten wurde. In diesem sah Liudolf eine Gefahr für seine eigene Thronbesteigung. Nachdem es für Liudolfs Vermutungen am Hof entsprechende Anzeichen gab, fing er an, sich wie eine Art Gegenkönig aufzuführen und scharte Verbündete um sich, wie den Erzbischof Friedrich von Mainz, Konrad den Roten und Ottos Schwiegersohn den Herzog von Lotharingien. Mit Aussicht auf Reichtümer und Beute bot Liudolf den Ungarn ein Bündnis an. Den Magyaren wurden ortskundige Führer mit auf den Weg gegeben; diese führten sie zu den Ländereien des Vaters und seiner Verbündeten, in denen sie die versprochenen Reichtümer vorfanden. Während so die Ländereien Liudolfs und die der Aufständischen verschont wurden, wurden die Ottos und seiner Verbündeten geplündert.

Dieser Pakt „mit den Feinden Gottes“6 führte jedoch dazu, dass viele Fürsten von Liudolf abfielen und auf Ottos Seite wechselten. Die Mehrheit der Fürsten, wie zum Beispiel auch Konrad der Rote, unterwarfen sich Ottos Gnade und wurden wieder in dessen Gunst aufgenommen. Nachdem sich Liudolf auch nach dem Hoftag in Langenzenn nicht bedingungslos seinem Vater unterwerfen wollte, zog er mit Getreuen nach Regensburg. Otto folgte ihm und ließ die Stadt belagern. Liudolf bat um Frieden aber verweigerte auch weiterhin die bedingungslose Unterwerfung. Ein Waffenstillstand wurde vereinbart und ein weiterer Hoftag zur Lösung des Problems in Fritzlar angesetzt. Zur Überraschung vieler unterwarf sich Liudolf noch vor Ablauf des Waffenstillstandes seinem Vater. Nach diesem Akt zog er jedoch mit seinen letzten Getreuen nach Italien, wo er am 6. September 957 starb. Ottos Autorität im Reich war wieder hergestellt.

Kaum neigten sich die inneren Unruhen dem Ende zu, zog eine neue noch größere Gefahr auf. Beunruhigende Anzeichen, wie das Erscheinen einer ungarischen Delegation in Magdeburg, deuteten auf eine neue Gefahr durch die Ungarn hin. Am Tag des heiligen Laurentius, dem 10. August 955, standen die Ungarn vor Augsburg und begannen mit der Belagerung.7 Der 10. August des Jahres 955 wird als unbeständiger Tag beschrieben, an dem sich plötzlicher Regen und Sonnenschein abwechselten. Unter ihrem Anführer Horka Bulksu führten die Ungarn diesmal – anders als bei den früheren Überfällen – Fußvolk und Belagerungsmaschinen mit sich.

Bei der ungarischen Infanterie handelte es sich entweder um zu den Waffen gepresste Slawen aus dem Karpatenbecken oder um magyarische Unterschicht. Es gibt auch Spekulationen darüber, dass die Infanterie sich aus beidem zusammensetzte. Die Kampfkraft dieser Truppe konnte daher als höchst fragwürdig gelten. Bei den Zahlen über die Stärke des ungarischen Heeres schwanken die Angaben. Verschiedene Quellen geben 10.000 bis 100.000 Mann an. Eine Schätzung, die die Anzahl der pro Krieger mitgeführten Pferde und die nutzbaren Weideflächen zwischen Donau und Theiss zugrunde legt, geht von maximal 15.000 Reiterkriegern aus.

Einige Historiker stellen die These auf, dass die Ungarn darauf aus waren, sich dauerhaft in der Region anzusiedeln. Eindeutig bewiesen wurde dies allerdings nie. Als sicher kann jedoch angesehen werden, dass die Ungarn eine Entscheidung suchten und daher alles auf eine Karte setzten. Sie schlugen ihr Lager südlich von Augsburg auf und nahmen das am schwächsten befestigte Südtor der Stadt in den Fokus. Bischof Ulrich machte Augsburg, dessen Verteidigungsanlagen noch von den inneren Unruhen beschädigt waren, zur Verteidigung bereit. Das Hauptheer der Ungarn ging westlich von Augsburg zwischen Schmutter und Wertach in Stellung. Ihre Strategie bestand darin, mittels Infanterie als Köder die ottonischen Panzerreiter zu einer offenen Feldschlacht zu verleiten.

Leider überlieferte uns der ottonische Hofchronist Widukind8 zu dem eigentlichen Schlachtverlauf recht wenig. Stattdessen berichtete er von einer sächsischen Abteilung, die irgendwo in den Sümpfen östlich der Elbe im Kampf gegen die Slawen in einen Hinterhalt geriet. König Otto der I. hatte ein Heer (lat. armarti) aus den vereinigten deutschen Stämmen der Sachsen, Franken, Bayern und Schwaben aufgebracht. Auch Thüringer, Böhmen, Lotharingier und Truppen aus Kärnten waren unterwegs nach Bayern. Insgesamt betrug die Stärke des vereinigten Heeres zirka 10.000 Mann. Unter dem Banner des Erzengels Michael und der heiligen Lanze als göttliches Zeichen führte er sein vereinigtes Heer an. Um eine offene Feldschlacht mit den berittenen Bogenschützen und einen damit verbundenen Pfeilhagel zu vermeiden, wurden bevorzugt Marschrouten durch Wälder gewählt. Die Wälder boten Deckung und schränkten die Ungarn in ihrer Taktik ein. Von diesen Gesichtspunkten aus gesehen war der Weg nach Augsburg durch den rauen Forst die am besten gewählte Marschroute. Die Ungarn hatten jedoch das Entsatzheer Ottos unbemerkt umfasst und griffen von hinten an, bevor die letzten Abteilungen im rauen Forst verschwinden konnten.

Zu Beginn sah es für das ottonische Heer schlecht aus; die Schwaben am hinteren Teil der Kolonne wurden ebenso wie die Böhmen aufgerieben. Dem fränkischen Kontingent unter Konrad dem Roten gelang es, das Blatt zu wenden, wobei er selbst fiel. Die ottonische Strategie sah einen Flankenangriff vor, der die offene Feldschlacht vermied. Das ungarische Fußvolk hatte gegen die schweren Panzerreiter keine Chance. Ihre Nahkampfbewaffnung war zu leicht, um gegen schwer gepanzerte Krieger anzukommen. Der Hofchronist Widukind von Corvey berichtete über Otto I.: „er habe selbst die Heilige Lanze9 ergriffen und zugleich die Aufgabe des tapfersten Kriegers und des trefflichsten Feldherrn erfüllt”10. Nach dem Sieg vor den Toren der Stadt Augsburg wurde er von seinen Männern zum „Vater des Vaterlandes (lat. pater patriae)“ ausgerufen.11

Das Feldlager der Ungarn wurde eingenommen. Die Hauptstreitmacht der Ungarn, die berüchtigten berittenen Bogenschützen, befand sich in einer strategisch ungünstigen Lage und trat den Rückzug ins Karpatenbecken an. Der US-amerikanische Historiker Charles Bowlus behauptet, dass die feuchtigkeitsempfindlichen Reflexbögen aufgrund des einsetzenden Sommergewitters versagten und der Rückzug daher vorgezogen wurde.

Während man in Augsburg Verluste wie Konrad den Roten beklagte, wurden gleichzeitig Boten zu den Verteidigungsposten und Wehrburgen an den Brücken und im rückwärtigen Raum geschickt. Diese fingen, meist aus dem Hinterhalt, ungarische Truppen auf ihren Rückzug ab und rieben diese auf. Zudem schätzten viele Ungarn die durch den Regen angeschwollenen Flüsse und Sümpfe Bayerns falsch ein und wurden mit den Wassermassen mitgerissen. Obschon das eigentliche Schlachtgeschehen westlich von Augsburg stattfand, ging es als Schlacht auf dem Lechfeld in die Geschichte ein. Otto I. errang an diesem Tag einen Sieg mit weitreichenden Folgen.12

Aufgrund des verlustreichen Rückzugs schafften es nur entsprechend wenige Ungarn zurück ins Karpatenbecken. Die hohen Verluste, die eine Generation Reiterkrieger regelrecht ausbluten ließ, beendete deren Drang nach Westen. Die Ungarneinfälle, die lange Zeit Europa in Angst und Schrecken versetzten, hörten damit endgültig auf. Die ottonische Herrschaft im ostfränkisch-deutschen Reich stabilisierte sich und konnte in der Folgezeit ihren christlichen Hegemonialanspruch in Mitteleuropa durchsetzen.

Literatur- und Quellenverzeichnis

Bowlus, Charles R. 2012. Die Schlacht auf dem Lechfeld. Ostfildern : Jan Thorbecke Verlag, 2012.

Csihák, Dr. György J., Vogler, Dr. Werner. 1999. Die Ungarn und die Abtei St. Gallen – Magyarok és a Szent Galleni Apátság. Akten des wissenschaftlichen Kolloquiums an der Universität Eötvös Loránd Budapest. Sankt Gallen – Budapest : Ungarisch Historischer Verein Zürich Stiftsarchiv St. Gallen, 1999.

Fried, Johannes. 2015. Die Anfänge der Deutschen: Der Weg in die Geschichte. Berlin : Propyläen Verlag, 2015.

Laudage, Dr. phil. Johannes. 2012. Otto der Große – Eine Biografie. Regensburg : Friedrich Pustet Verlag, 2012.

Mühlpfordt, Prof. Dr. Günter. 2009. Rätsel Riade – Die Ungarnschlacht von 933 und Deutschlands Einung. Halle (Saale) : Mitteldeutscher Verlag GmbH, 2009.

Szabó, Dezső. Geschichte der Ungarndeutschen. [Online] [Zitat vom: 14. Januar 2018.] http://gepeskonyv.btk.elte.hu/adatok/Germanisztika/113Szab%F3/I%20Geschichte.pdf.

1 Anmerkung zu Kapitel 1: Als Magyaren wird das Volk der Ungarn bezeichnet, oft wird der Begriff bei historischen Themen benutzt, um zu differenzieren, ob es sich um Ungarn oder andere Ethnien des ehemaligen Königreich Ungarns handelt. Vgl. Mühlpfordt (2009)

2 Die Ungarn und die Abtei St. Gallen – Magyarok és a Szent Galleni Apátság, Dr. Csihák/Dr. Vogler (1999), S. 28

3 Widukind von Corvey, Sachsengeschichte III, 49, S. 128, zitiert nach Laudage (2012), S. 324

4 Vgl. Bowlus (2012)

5 Vgl. Mühlpfordt (2009)

6 Laudage (2012), S. 151

7 Vgl. Bowlus (2012); vgl. Laudage (2012)

8 Anmerkung zu Kapitel 3.2: Widukind von Corvey war einer der bedeutendsten Hofchronisten aus der Zeit der Ottonen. Seine genaue Herkunft liegt im Dunkeln, als bekannt gilt jedoch, dass er dem sächsischen Hochadel angehörte und zwischen 940 und 942 in die Klosterabtei Corvey (bei Höxter im heutigen Nordrhein-Westfalen) eintrat. Sein Bekanntheitsgrad gründet unter anderem auf der von ihm verfassten Sachsengeschichte (Res gestæ Saxonicæ). Vgl. Laudage (2012)

9 Anmerkung zu Kapitel 3.2: Die Heilige Lanze war ein Geschenk von Rudolf II. von Hochburgund an Heinrich I. und war eine Christus-Reliquie mit besonderem Wert. Laut Liudprand von Cremona enthielt der mit Silberdraht befestigte Mitteldorn Teile der Nägel, die bei der Kreuzigung Jesus verwendet worden sein sollen. Antapodosis IV, 24f., S111f., zitiert nach Laudage (2012), S. 323

10 Widukind von Corvey, Sachsengeschichte III, 46, S. 127f, zitiert nach Laudage (2012), S. 323

11 Vgl. Bowlus (2012)

12 Vgl. ebenda (2012)